Es gibt kein kleineres Übel.
Geralt, der Hauptcharakter der Serie The Witcher, sagt es bereits in der ersten Episode. Entscheidungen, die einen zwingen, sich für das kleinere Übel zu entscheiden, treffe er nie, da es kein kleineres Übel gebe.
In der Fantasy-Welt von The Witcher existieren Monster und Magie. Beides kommt nie nur in schwarz und weiß, in Gut und Böse vor.
Dies lernt auch Yennefer, die angehende Magierin, bereits früh: wenn Sie ihrer Lehrerin folgt, gibt es scheinbar keine rein gute Verwendung von Magie – egal wieviel bezahlt wird.
Es kann keine Magie entstehen, ohne Kosten. Magie ist der Versuch der Menschen, das Chaos zu beherrschen. In einer ersten Lektion sollen die Magieadepten einen Stein schweben lassen, dies gelingt nur, wenn dafür etwas verwittert, wie sie alle eindrücklich lernen müssen.
Chaos wird in Magie geformt. Das Chaos zu beherrschen ist gleichsam Magie beherrschen, so lernt es Yennefer.
Dies erinnert an den alttestamentlichen Zusammenhang von Tun und Ergehen: Wenn ich Gutes tue, muss Gott es mir gut ergehen lassen. Diese Erklärung für vermeintliches Schicksal hielt eine lange Zeit (auch schon vor den Israeliten). Im Buch Hiob wurde anhand des Lebens des gerechten Menschen Hiobs gezeigt, dass diese Logik nicht immer im Leben greift.
Auch Geralt zahlt für seine Kräfte. Überall wo er hingeht, wird er als „Mutant“ ausgegrenzt. Alle misstrauen den mysteriösen Witchern, die selber teilweise wie Monster zu sein scheinen, die sie bekämpfen. Und das, wo die Witcher gleichsam das einzige Mittel gegen Monster zu sein scheinen.
Das Chaos ist in vielen alten Religionen immer der schlechte Urzustand vor der geordneten Schöpfung. Vor Gottes Schöpfungsakt herrschte Chaos.
Das Chaos stellt also das genaue Gegenteil vom göttlichen dar. Alleine Gott konnte es bändigen und Ordnung in die Welt bringen.
Menschen versuchten stets die göttliche Ordnung zu verstehen, selber das gefühlte und erlebte Chaos zu beherrschen. Gottes Plan in Strukturen nach menschlichen Kategorien zu sortieren. Tun = Ergehen.
Die Menschen in der Serie The Witcher wählen das geringere Übel des Witchers, den sie bezahlen, um die große Gefahr zu beseitigen.
Geralt selber sagt, dass er nicht bereit ist, bei zwei Übeln, sich für das geringere zu entscheiden. Übel ist Übel.
Zudem ist die Ansicht dessen, was Menschen als Übel erkennen und wovor sie sich fürchten selten im Gesamtbild ein wirkliches Übel.
So „verschont“ Geralt unter anderem einen verfluchten Menschen und einen alten Drachen. Beide sollte er für die Menschen vernichten. Bei beiden ist aber eine Ordnung da, wenn sie leben. Das gefühlte Chaos durch sie ist nur in der Angst der Menschen – und nur bestätigt in der Arroganz, das Chaos beherrschen zu wollen.
Geralts Einschätzung bestätigt sich immer wieder, Übel und Chaos sind nicht mit menschlichen Definitionen greifbar.
„Das ist Magie, es ist nicht real“, dieser Satz erklärt zweimal in der letzten Folge das Wissen derer, die Magie nutzen, um das Chaos zu bändigen.
An einer Stelle fasst Geralt es selber zusammen: „Schicksal ist eine Überlegung von Menschen, um Ordnung in die Welt zu bringen. Aber es gibt keine Ordnung“
„Denn meine Gedanken, sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der Herr. sondern so viel der Himmel höher ist, als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken höher als eure Gedanken.“
Jes 55, 8-9
Manchmal scheint es so, dass alle Zusammenhänge im Leben klar zu sein scheinen. Ich meine zu erkennen, was richtig und falsch ist. Mein Weg im Glauben hilft mir dabei sehr. Oft betätigt sich dies dann auch im Nachhinein.
Mindestens genauso oft erkenne ich aber keine Logik im Geschehen. Bin fragend und finde keine Antworten. Bei allem Wissen, was wir Menschen haben. Sei es gesellschaftswissenschaftlich, sei es naturwissenschaftlich oder aus einer anderen Disziplin – ja auch theologisch – diese Aussage Gottes „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken“, erinnert mich daran, dass ich es nicht als Mangel verstehen muss, dass ich nicht in allem einen göttlichen Plan erkennen muss. Auch muss ich nicht in der Lage sein, Schicksalsschläge mit Gottes Willen zu rechtfertigen. Ich bin frei genug im Glauben, dass ich zugeben kann, dass ich das Chaos nicht beherrschen kann, ja nicht einmal verstehen kann.
Diese Freiheit, die Gott uns schenkt kann bedrücken, gerade in einer Welt, in der wir alles immer erklären können wollen. Aber gerade in dieser Welt ist es für mich oft eine Entlastung zugeben zu können, dass ich nicht alles durchschaue, nicht alles verstehe. Und Gott ist gewiss nicht auf mich angewiesen, dass ich sein nicht-Eingreifen verteidige.
Was ich aber verstehe, ist, dass über allen Schicksalsschlägen, über allen vermeintlich schlimmen Dingen auf der Welt, die ich niemals nachvollziehen oder verstehen kann und will – über allem steht immer die eine große Zusage, dass Gott uns in Gnade und Liebe angenommen hat. Gerade weil wir nicht perfekt und gerade, weil wir nicht allwissend sind. Gottes Liebe gilt uns allen.
Gerade in Trauer und in Leid, in Zeiten, in denen alles gegen mich zu laufen scheint, ist mir diese Zusage Trost und Hilfe: Ich kann zwar nicht verstehen, aber ich kann die Liebe Gottes annehmen.