Expecto Patronum – Predigt zu Philipper 2, 1-4

[Predigt von Pastor Jonthan Overlach]

Dementoren

Kälte und Eis sind ihre Vorboten.
Das Licht flackert.
Die Angst kann man in den Gesichtern der beiden Jungs sehen.
Harry und Dudley versuchen sich zu verstecken.
Doch auch in der Unterführung werden sie gefunden.
Von den Dementoren.

Dementoren leben von der Freude der Menschen,
entziehen ihnen Energie, Lachen und schöne Erinnerungen.
Der „Kuss“ eines Dementors nimmt seinen Opfern Liebe und Nähe
und hinterlässt Trauer, Angst und Tränen. Sie saugen ihren Opfern die Seelen aus.
„Wenn dich ein Dementor küsst, dann hast Du das Gefühl, dass du nie wieder glücklich sein kannst.“
Die Dementoren sind eine Erfindung von Joanne K. Rowling, der Erfinderin von Harry Potter.
Die Autorin erinnerte sich an ihre Depressionen, als sie sich die Dementoren ausdachte.
So, wie es ihr in einer depressiven Episode ging, geht es jeder Person, die von einem Dementor angegriffen wird. Sie sind quasi fleischgewordene Depressionen.

Dementoren haben in den Büchern von Harry Potter eine Aufgabe:
Sie bewachen Askaban.
Das klingt ein bischen wie Alcatraz
und ist genau so ein gut gesichertes Gefängnis.
Eine Insel mitten in der Nordsee.
Durch die Dementoren, die alles und jeden dort aussaugen, ist Askaban der traurigste Ort in der Welt von Harry Potter.
Niemand soll von dort fliehen.

Ja, genau!

Nicht wahr, es ist euch wichtig, einander im Namen von Christus zu ermutigen?
Es ist euch wichtig, euch gegenseitig mit seiner Liebe zu trösten,
durch den Heiligen Geist Gemeinschaft miteinander zu haben
und einander tiefes Mitgefühl und Erbarmen entgegenzubringen?

Ja genau! Das ist uns wichtig.
Trösten,
Gemeinschaft,
Höflichkeit,
Fröhlichkeit,
Hilfe,
Offenheit,
Menschenrechten
und Mitgefühl.
„Das haben wir doch alles schon!“ möchte ich sagen und stocke.
Das sind alles große Worte.
So richtig und wichtig wie sie leer sind.

#Kaltland

Ich schaue Nachrichten und mir wird kalt. Ich höre von ertrunkenen Menschen im Mittelmeer, Kinder und Erwachsene. Ich lese die Frage, ob man die Flüchtlinge ertrinken lassen soll oder doch retten. Ich werde traurig. Dass eine Zeitung wie die ZEIT meint, dass diese Frage an sich überhaupt diskutabel ist, macht mich rasend.
Es ist kalt in Deutschland. Und es ist kalt in Europa.
Hauptsache, niemand „von denen“ kommt rein. Das scheint gerade das Hauptanliegen der Europäischen Politik zu sein. So sehr, dass Mitgefühl und Trost und Menschenrechte dafür geopfert werden. Die Union hat einen neuen Plan, der Menschen vor allem davon abhalten soll, Asyl zu beantragen. Oder anders gesagt: Ein Plan, der Menschen daran hindern soll, ein Grundrecht in Anspruch zu nehmen. Menschen werden in Deutschland wieder deutlicher wahrnehmbar beschimpft, wenn sie eine andere Hautfarbe haben oder einen Akzent, der hörbar macht, dass sie Deutsch nicht als Muttersprache gelernt haben.
Mir wird ganz kalt, wenn ich daran denke, dass wir uns mit der geretteten Fußballmannschaft in Thailand freuen, aber gleichzeitig ernsthaft die Frage stellen, ob wir Ertrinkende im Mittelmeer retten sollen oder nicht. Ganz abgesehen vom zweiten Schritt, die Rettung und die Rettenden unter Strafe zu stellen. Menschen, die gerade ertrinken, sind Ertrinkende und keine Flüchtlinge, Italiener oder Afrikaner.
Was als nächstes kommt, wage ich mir kaum auszudenken.
Aber mittlerweile ahne ich: Es wird auf jeden Fall schlimmer.
Und Europa hat dann bald mehr mit Askaban gemeinsam, als mir lieb ist:
Aus Askaban soll niemand raus, nach Europa soll keiner rein.
Aber Europa wird eben wie Askaban, wenn weiter Menschen im Mittelmeer ertrinken, die gerettet werden müssen.
Und durch die Abschottung sperren wir uns ein: Das Schengen-Abkommen wackelt, die freien Grenzen innerhalb Europas stehen auf dem Prüfstand. Und Mitgefühl, Gemeinschaft und Menschenrechte ersaufen im Wasser zwischen Libyen und Italien.
Und das, weil Populisten und Medien es geschafft haben, uns einzureden, wir hätten nicht genug. Weil einige Ressentiments schüren und die Armen gegen die Ärmsten ausspielen. Und weil genug Zeitungen, Talkshows und Menschen dieses erbärmliche Spiel mitspielen.
Wenn es so weiter geht, dann gibt Europa beim Versuch, seine Grenzen abzuriegeln, das auf, was es ausmacht: seine Werte!
Das fühlt sich für mich an wie der Kuss eines Dementors.
Ein Innenminister, der über Abschiebungen witzelt zeigen, wie weit die Dementoren schon gekommen sind. Das C in CSU bedeutet ja „christlich“. Aber christlich bedeutet, wenn es nach Seehofer und Söder geht anscheinend nur noch „für Christen“ und nicht mehr „in Christi Sinne“.
Das muss sich ändern!
Ja, genau.

Nun, dann macht meine Freude vollkommen und haltet entschlossen zusammen!
Lasst nicht zu, dass euch etwas gegeneinander aufbringt,
sondern begegnet allen mit der gleichen Liebe
und richtet euch ganz auf das gemeinsame Ziel aus.
Rechthaberei und Überheblichkeit dürfen keinen Platz bei euch haben.
Vielmehr sollt ihr demütig genug sein, von euren Geschwistern höher zu denken als von euch selbst.
Jeder soll auch auf das Wohl der anderen bedacht sein,
nicht nur auf das eigene Wohl.

Expecto Patronum

Dementoren kann man nicht für immer besiegen.
Gegen sie hilft eigentlich nur ein Zauber:
Expecto Patronum – ich erbitte meinen Schutzherren.
Diesen Zauber wirkt man, in dem man sich eine schöne, tröstende Erinnerung ins Gedächtnis ruft.
Das ist im Angesicht eines Dementors gar nicht so einfach.
Genauso verhält sich das mit Depressionen und Ängsten.
Auch sie lassen sich schwer vertreiben, wenn man ein mal drin sitzt.
Erinnerung an die Erfahrung: Es reicht für Alle.

Jesus nahm die Brote, dankte und gab sie denen, die sich gelagert hatten; desgleichen auch von den Fischen, so viel sie wollten. Als sie aber satt waren, spricht er zu seinen Jüngern: Sammelt die übrigen Brocken, damit nichts umkommt. Da sammelten sie und füllten zwölf Körbe mit Brocken von den fünf Gerstenbroten, die denen übrig blieben, die gespeist worden waren.

Expecto Patronum:
Ich will es mal versuchen mit dem Expecto Patronum –
und mich dabei erinnern an Gutes:
Es ist genug da – genug Brot und Fisch.
Genug Liebe und genug Heimat.
Ich nehme, esse, vertraue mich an und werde gehalten.
Und gebe weiter, gestärkt.
Mit dieser Kraft gestärkt kann ich am Stammtsch
sagen, dass die Parolen Parolen sind und keine Fakten.

Expecto Patronum: Ich denke an das Abendmahl, das wir gemeinsam feiern. Nicht jeden Sonntag, aber doch ab und zu mal. Jeder bekommt etwas. Ich denke an das Abendmahl, das Jesus mit seinen Freunden gefeiert hat. Er war ganz da. Gab sich ganz. Gibt sich jedes mal ganz, wenn wir feiern.

Expecto Patronum: 55% Der deutschen Bevölkerung haben schon Flüchtlingen geholfen.
Ich denke an die Gemeinde meiner Freundin, in der sich mehrere Iraner haben taufen lassen.
Ich denke an die kleine Tochter von Herrn Sriskanthan. Als sie vor Jahren im Kirchenasyl in Arnum waren, da war sie 3. Gerade hat sie genau wie ihr großer Bruder Abitur gemacht und wird jetzt bald studieren.

Expecto Patronum: Ich denke an einen, der sich in meiner Vikariatsgemeinde immer mal Geld holte, als es nicht reichte und heute dort Küster ist.

Expecto Patronum: Ich denke an mich, wie ich keine Freunde hatte in der Schule und in einer Jugendgruppe Freunde fand. Einer der Jungs von damals ist der Vater meines Patenkindes.

Expecto Patronum: Woran erinnern Sie sich, wenn sie die Dementoren vertreiben, die Hass, Neid und Gleichgültigkeit heißen?

Expecto Patronum: Ich denke an Jesus, der ans Kreuz ging, um mit zu leiden.
Damit kein Mensch alleine ist, wenn´s schlimm ist. Damit Gott immer schon da ist.

Amen

nach einer Idee von https://dreifachglauben.de/leben/gegen-die-dementoren-unserer-zeit/